Paul-Ehrlich-Institut

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Stel­lung­nah­me des Paul-Ehr­lich-In­sti­tuts zu Mel­dun­gen von Nar­ko­lep­sie nach Pan­dem­rix-Imp­fung in Schwe­den und Finn­land

Meldungen zu Narkolepsie

Die schwedische Arzneimittelbehörde (MPA) hat am 18.08.2010 darüber informiert, dass sechs Fälle einer Narkolepsie bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 – 16 Jahren im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung mit Pandemrix gemeldet wurden. Dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist bis heute (23.08.2010) kein Fall einer Narkolepsie im zeitlichen Zusammenhang mit Pandemrix berichtet worden.

Erste Symptome der gemeldeten Fälle in Schweden traten zwischen ein bis vier Monaten nach der Impfung auf. Derzeit sind die Informationen nach Angabe der schwedischen Behörde noch nicht vollständig und erlauben keine abschließende Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs. Weitere Informationen zu den Meldungen werden derzeit eingeholt.

Parallel wurden finnische Forscher auf 15 Fälle von Narkolepsie im Jahr 2010 bei Kindern bis 16 Jahren aufmerksam. Nach Angaben der finnischen Gesundheitsbehörde werden dort zwei bis sieben neue Fälle von Narkolepsie bei Kindern pro Jahr erfasst, sodass im Jahr 2010 offenbar schon jetzt deutlich mehr Fälle registriert wurden. Die finnische Gesundheitsbehörde hat am 24.08.2010 beschlossen, weitere Impfungen mit dem monovalenten Impfstoff auszusetzen. Der Impfstopp wird in der Pressemitteilung als Vorsichtsmaßnahme bezeichnet, bis das Signal abschließend beurteilt werden kann. Die Narkolepsiefälle in Finnland haben sich nach dem Gipfel der H1N1-Pandemie und nach der Impfung mit Pandemrix gezeigt. Derzeit ist bekannt, dass zumindest sechs der 15 Kinder mit Narkolepsie mit Pandemrix geimpft wurden. Der Abstand zwischen erster Impfung und ersten Symptomen betrug bei diesen Kindern zwischen zwei und zehn Wochen. Der Impfstatus der anderen Kinder wird derzeit erfragt. Sowohl in Finnland als auch in Schweden sind weitere Untersuchungen geplant.

In Deutschland ist dem Paul-Ehrlich-Institut als zuständiger Behörde bis heute kein Fall einer Narkolepsie im zeitlichen Zusammenhang mit Pandemrix berichtet worden. Es wurde lediglich ein Fall einer Kataplexie (plötzlicher beidseitiger Tonusverlust der Muskulatur) mit Müdigkeit bei einem 15 Jahre alten Mädchen berichtet. Erste Symptome traten ca. zwei Monate nach Impfung mit Pandemrix und der Impfung gegen humanes Papillomavirus (HPV) auf. Kataplexie kann auch Symptom einer Narkolepsie sein. Laut Angaben des meldenden Neurologen wurde eine Narkolepsie ausgeschlossen, der Fall wird jedoch erneut geprüft.

Dem PEI sind in den vergangenen Jahren isolierte Verdachtsfälle einer Narkolepsie nach anderen Impfstoffen berichtet worden. Zwei Fälle aus den Jahren 2004 und 2006 betrafen Kinder im Alter von acht und 13 Jahren, die FSME-Impfungen erhalten hatten. Beim dritten Fall handelte es sich um eine 48 Jahre alte Frau nach Tollwutimpfung. Zu beachten ist, dass aus der zeitlichen Assoziation von Verdachtsfällen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen nicht automatisch auf einen ursächlichen Zusammenhang geschlossen werden kann.

Nachgemeldete Fälle von Narkolepsie in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung mit Pandemrix

Symptomatik der Narkolepsie

Die Narkolepsie ist eine Schlaf-Wach-Störung mit REM (rapid eye movements)- und Non-REM-Schlafstadien-assoziierten Symptomen. Dazu gehören beispielsweise länger als sechs Monate bestehende Tagesschläfrigkeit, plötzlicher beidseitiger Tonusverlust der Muskulatur (Kataplexie), fraktionierter Nachtschlaf und automatische Fortsetzung von Handlungen. Zum Krankheitsbild gehören auch dringender Schlafdrang, Schlaflähmung (beim Erwachen zunächst Bewegungs- und Sprachunfähigkeit) sowie bereits in der Einschlafphase einsetzende, lebhafte visuelle Traumaktivität (hypnagoge Halluzination). Das Auftreten aller vier Kernsymptome (Tagesschläfrigkeit, Kataplexie, Schlaflähmungen und hypnagoge Halluzinationen) ist eher die Ausnahme als die Regel [1].

Eine 2002 durchgeführte prospektive Multizenterstudie der AG Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) und der Erhebungseinheit für seltene pädiatrische Erkrankungen in Deutschland, ESPED [2, 3] hat in Deutschland für Narkolepsie eine Inzidenz von 0,12 / 100.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren pro Jahr ermittelt, wobei möglicherweise nicht alle Fälle erfasst wurden (s.u.).

Aus der Inzidenz lässt sich eine Prävalenz von Narkolepsie bei Kindern und Jugendlichen von 2-3 / 100.000 abschätzen.

In Befragungen berichtet etwa die Hälfte der erwachsenen Narkolepsie-Patienten, sich an narkoleptische Symptome bereits im Kindes- oder Jugendalter zu erinnern. Dennoch wird die Diagnose "Narkolepsie" bei Kindern selten gestellt. Dies liegt möglicherweise daran, dass die narkolepsieassoziierten Symptome gerade bei Kindern und Jugendlichen eher atypisch sein können beziehungsweise fehlinterpretiert werden. Zudem kompensieren Kinder und Jugendlichen möglicherweise eine Zeit lang Symptome, die sie selbst gar nicht als pathologisch einstufen können.

Ursache der Narkolepsie

Die Ursache der Erkrankung ist ungeklärt. In wenigen Fällen tritt Narkolepsie nach Schädigungen bestimmter Hirnregionen (Hirnstamm und Dienzephalon) auf. Es werden multifaktorielle Ursachen mit Störungen im cholinergen und noradrenergen System sowie eine Verminderung Hypocretin-haltiger Neurone im dorsolateralen Hypothalamus angenommen. 98 Prozent der kaukasischen Narkolepsie-Patienten haben den HLA DRB1*1501, DQB1*0602-Typ (hohe Sensitivität dieses HLA-Typs, jedoch geringe Spezifität). Eine genomweite Assoziationsstudie weist auf weitere genetische Polymorphismen hin [4]. Daher werden in jüngerer Zeit neben anderen Faktoren vermehrt auch Autoimmunprozesse als Ursachen diskutiert [5, Übersicht bei 6 und 7].

Aktuell wird intensiv untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der Influenza A/H1N1v-Impfung, der natürlichen Infektion mit dem pandemischen Influenzavirus A/H1N1v oder anderen Faktoren und den registrierten Narkolepsie-Fällen gibt. Bei der Bewertung insbesondere der erhöhten Fallzahlen muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Einführung des Pandemie-Impfstoffs zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und Meldebereitschaft geführt hat. Gerade bei einer Erkrankung wie der Narkolepsie mit einer hohen Dunkelziffer im Kindes- und Jugendalter – wie oben erwähnt erinnern sich viele erwachsene Patienten an erste Symptome bereits in der Jugend – können durch eine neue Impfkampagne und die Sorge um die Gesundheit Symptome erstmalig beachtet und dokumentiert werden. Entsprechend gründlich muss hier die Auswertung erfolgen.

Aktuelle Impfempfehlung in Deutschland

Da für die kommende Grippesaison 2010/2011 neben Infektionen mit dem Influenzavirus A(H1N1) 2009 auch Infektionen mit anderen Stämmen erwartet werden, empfiehlt die Ständige Impfkommission die Impfung mit einem trivalenten saisonalen Impfstoff, der neben der Influenza A(H1N1) 2009-Komponente auch eine A(H3N2)- und eine Influenza-B Komponente enthält. Die Impfung mit dem monovalenten Impfstoff Pandemrix wird aktuell nicht empfohlen.

Informationen zu den aktuellen Grippeimpfstoffen für die Saison 2010/2011

Literatur

1) Daniels (1934)

2) Berner R, Bialek R, Forster J et al.: Erhebungseinheit für seltene pädiatrische Erkrankungen in Deutschland (ESPED). Monatsschr Kinderheilk.2004; 152: 7779

3) Handwerker G. Narkolepsie im Kindes- und Jugendalter. Monatsschr Kinderheilk. 2005; [Suppl 2] 153

4) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1559501/

5) Smith AJ et al.: A functional autoantibody in narcolepsy. Lancet. 2004 Dec 11-17;364(9451):2122-2124

6) Fontana A: Narcolepsy: autoimmunity, effector T cell activation due to infection, or T cell independent, major histocompatibility complex class II induced neuronal loss? Brain. 2010 May;133 (Pt 5):1300-1311.

7) Longstreth WT et al: The Epidemiology of Narcolepsy. Sleep. 2007; 30, 13-26

Aktualisiert: 27.08.2010