Paul-Ehrlich-Institut

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Ge­mein­sa­me Mit­tei­lung des Paul-Ehr­lich-In­sti­tuts und der Bun­de­särz­te­kam­mer

Die Unterbrechung klinischer Gentherapie-Prüfungen in Deutschland nach einem Leukämiefall in Frankreich dient der ethischen Neubewertung und Anpassung der Patienteninformation

Der Entscheidung des Paul-Ehrlich-Instituts und der Kommission Somatische Gentherapie (KSG ) des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, die Unterbrechung aller klinischer Studien unter Verwendung lebender, retroviral modifizierter Zellen zu empfehlen, ging eine Diskussion der Ursachen der bei einem Patienten im Rahmen einer französischen Gentherapie-Studie aufgetretenen Leukämie voraus. Nach Vorlage von Änderungen der Studienprotokolle (Amendments), die vor allem einer nachvollziehbar neuen Nutzen-/Risikoanalyse, einer Erwähnung des Leukämiefalls in der Patienteninformation sowie einer eventuell notwendigen Präzisierung der Ein- und Ausschlusskriterien dienen sollen, wird bei der nächsten Sitzung der KSG in Abstimmung mit dem Paul-Ehrlich-Institut Ende November 2002 über die betroffenen Studien entschieden werden. Zur Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit haben die KSG und das Paul-Ehrlich-Institut Behörden, Fachgremien und Ethikkomitees in Europa und den USA frühzeitig über die Entscheidung in Deutschland informiert.

Bei der Entscheidung, die im Anschluss des internationalen Expertentreffens am Dienstag, 17. September 2002, im Paul-Ehrlich-Institut in Langen getroffen wurde, die Unterbrechung aller klinischer Prüfungen in Deutschland unter Verwendung lebender, retroviral modifizierter Zellen zu empfehlen, wurden bereits vorliegende Hinweise über mögliche Ursachen der bei einem Patienten im Rahmen einer Gentherapie-Studie in Frankreich aufgetretenen Leukämie berücksichtigt. Die KSG und das Paul-Ehrlich-Institut hatten sich vom Leiter der klinische Prüfung in Paris, Dr. Alain Fischer, und von der französischen Gesundheitsbehörde AFSSAPS im Detail über die Umstände der dortigen Unterbrechung der klinischen Prüfung unterrichten lassen.

Diese Information wurde auf Bitte des französischen Prüfleiters bis zum 03. Oktober 2002 bis zur Aufklärung aller Eltern der an der Studie teilnehmenden Patienten durch den betreuenden Arzt nur an betroffene Behörden, Ethikkomitees und Prüfleiter weiter gegeben. Die Aufklärung der Eltern und Patienten wurde bis zum 03.10.02 abgeschlossen. Am 03.10.2002 wurde der Leukämiefall in Frankreich veröffentlicht.

Ergebnisse der Untersuchungen an den Leukämiezellen des Patienten wurden am 16. Oktober 2002 im Rahmen des Kongresses der ESGT ("European Society of Gene Therapy") der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Studienunterbrechung in Deutschland wurde durchgeführt, um betroffene Patienten in klinischen Gentherapie-Studien vor möglichen Risiken zu schützen, vor allem jedoch, um ihnen eine Entscheidung auf der Grundlage vollständiger Informationen zu ermöglichen. Die Unterbrechung soll der Änderung (Amendment) der Studienprotokolle dienen. Den klinischen Prüfleitern wurde empfohlen, den aufgetretenen Leukämiefall in die Patienteninformation aufzunehmen, die Ein- und Ausschlußkriterien zu überdenken und gegebenenfalls zu spezifizieren und eine Neubewertung der ethischen Vertretbarkeit der einzelnen Studien vorzunehmen. Eingereichte Amendments werden Ende November 2002 von der KSG und dem Paul-Ehrlich-Institut ausgewertet und bilden eine Grundlage für die dann vorgesehene Einzelfallentscheidung über die Weiterführung oder den permanenten Stop der Studien.

Die von Li et al. (Science 296, 497 (2002) - Text nur für Abonnenten verfügbar) veröffentlichten Daten über eine bei Mäusen aufgetretene Leukämie und die vorliegenden Informationen über die Leukämie bei einem der vierzehn behandelten SCID-X1 ("Severe Combined Immunodeficiency Type X1"; angeborene Immunschwäche des Typs X1) Patienten weisen nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse Parallelen auf. In beiden Fällen wurde eine Leukämie nach retroviralem Gentransfer in Blutstammzellen beobachtet. Es ist nicht auszuschließen, daß eine Leukämie durch Integration eines retroviralen Vektors in das Genom einer der modifizierten Zellen mit der Folge der Aktivierung eines Proto-Onkogens (Insertionsmutagenese mit der Folge der Onkogenese) im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren ausgelöst werden kann. Mögliche weitere Faktoren umfassen den Eingriff in die Signalketten und damit in Wachstumskontrollmechanismen der Zielzellen durch das übertragene Gen, die Zielzelle und ihre Vermehrung im Körper, familiäre Prädispositionen zu Krebs, Infektionen im Verlauf der Therapie oder das Alter der Patienten.

Bei dem französischen SCID -X1 Patienten wurde in den maligne transformierten gamma-delta T-Zellen eine Vektorintegration in der Nähe des lmo-2-Gens festgestellt, das als Proto-Onkogen die Zelldifferenzierung steuert. Die Integration könnte die festgestellte starke Überexpression des lmo-2-Gens in den Tumorzellen bewirkt haben. Das übertragene Gamma-c-Kettengen ist Teil von Zytokinrezeptoren, welche das Zellwachstum beeinflussen können. Dazu gibt es Spekulationen über weitere, bisher ungeklärte genetische Veränderungen, begünstigt durch die extensive Vermehrung der modifizierten Zellen in vivo, familiär oder durch eine Windpocken-Infektion bedingte Ursachen bei dem Patienten. Der mögliche Beitrag der beschriebenen Faktoren zur Leukämieentstehung ist bisher jedoch wissenschaftlich nicht bewiesen. Die Leukämie wird derzeit konventionell behandelt und es bestehen Aussichten auf eine erfolgreiche Therapie.

Nach Abwägung des Risikos der Leukämie-Entstehung nach retroviralem Gentransfer gegen den Nutzen der einzelnen Gentherapie-Studien für die Patienten ist es möglich, daß einige Studien weitergeführt werden können. Darüber werden die KSG und das Paul-Ehrlich-Institut im Einzelfall entscheiden.

Prof. Dr. Klaus Cichutek

Vizepräsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Vorsitzender der 'Kommission Somatische Gentherapie' des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer

Hintergrundinformation:

In Deutschland wurden seit 1994 folgende klinische Studien unter Verwendung lebender, retroviral modifizierter Zellen angemeldet (Antrag bei der KSG und/oder Vorlage gemäß § 40 Arzneimittelgesetz (AMG) beim Paul-Ehrlich-Institut oder dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)).

  1. Gentherapie einer monogenen Erbkrankheit:

    Zur Behandlung der lebensbedrohlichen monogenen Erbkrankheit Chronische Granulomatose (CGD; "Chronic Granulomatous Disease") werden eigene (autologe) Blutstammzellen des Patienten übertragen, deren Gendefekt mittels retroviraler Übertragung des funktionellen Gens korrigiert wurde. Dies soll helfen, die angeborene Immunschwäche zu mildern oder zu heilen.

    Status: 1 angemeldete Studien; unterbrochen.

  2. GvHD-Behandlung durch Suizidgentransfer und Ganciclovirgabe:

    Unterdrückung von Abstossungskomplikationen bei der Behandlung von Leukämien durch Transplantation fremder (allogener) Blutstammzellen und Lymphozyten. Die Übertragung der Fremdspenderlymphozyten ist eine konventionelle Behandlung, die nach vorhergehender Chemotherapie und Stammzelltransplantation zu einer Unterdrückung der Leukämie führt (Spender-gegen-Leukämie Effekt). Allerdings kann als unter Umständen lebensbedrohliche Komplikation eine von den übertragenen Lymphozyten hervorgerufene, überschiessende immunologische Abwehrreaktion auftreten (Spender-gegen-Wirt Krankheit; GvHD). Wenn Fremdspenderlymphozyten verwendet werden, denen ein medikamentös aktivierbares, zellabtötendes Gen (Suizidgen; Thymidinkinasegen des Herpes simplex Virus) retroviral übertragen wurde, können diese Zellen bei Auftreten einer schwerwiegenden GvHD durch Gabe des spezifischen Medikaments im Körper abgetötet werden, so dass eine lebensbedrohliche Komplikation vermieden wird.

    Status: 4 angemeldete Studien; unterbrochen.

  3. HIV-Gentherapie:


    Durch Übertragung von Lymphozyten, die eine HIV-hemmendes Gen tragen, soll die HIV-Vermehrung im Körper unterdrückt werden.

    Status: 1 angemeldete Studie, nicht begonnen.

  4. Einsatz eines Indikatorgens zum Verständnis der hämatopoetischen Rekonstitution:

    Im Rahmen der bei der Leukämiebehandlung indizierten Transplantation von Blutstammzellen werden genmarkierte Zellen übertragen. Bei der Rückbildung aller Blutzellen sollen Menge und Art der sich zurückbildenden Blutzellen analysiert werden.

    Status: 3 angemeldete Studien; unterbrochen.

  5. Lokale Gentherapie der rheumatoiden Arthritis:

    Aus von der Arthritis betroffenen Gelenken werden (Synovial)-Zellen entnommen. Nach Übertragung eines Gens (IRAP, "Interleukin Receptor Antagonist"), dessen Produkt zur Gelenkentzündung beitragende Faktoren (Zytokine) abfangen kann, werden die modifizierten Zellen wieder in das Gelenk übertragen.

    Status: 1 angemeldete Studien; unterbrochen.

  6. Übertragung von Medikamentenresistenzgen-modifizierten Blutstammzellen bei der Hochdosis-Chemotherapie maligner Tumoren:

    Die Krebstherapie soll durch Hochdosis-Chemotherapie effizienter werden. Da vor allem Blutzellen durch die Chemotherapeutika geschädigt werden, soll diese durch ein Gen geschützt werden, daß eine Resistenz gegen mehrere Medikamente vermittelt ( mdr ("multi drug resistance")-Gen). Das mdr-Gen wird auf die Blutstammzellen vor der Stammzelltransplantation übertragen.

    Status: 2 angemeldete Studien; abgeschlossen. 1 angemeldete Studie negativ begutachtet; daher nicht begonnen.

  7. Hirntumor-Behandlung durch Injektion von Mauszellen, die einen Suizidgenvektor produzieren, gefolgt von Ganciclovirgabe:

    Bei Patienten mit fortschreitender Erkrankung werden bei der Operation des Hirntumors lebende Mausverpackungszellen übertragen, die retroviral Vektoren auf übergebliebene (residuale) Tumorzellen übertragen. Die Vektoren übertragen ein Selbstmord (Suizid)-Gen auf die Tumorzellen, welches diese empfänglich für die zellschädigende Wirkung des Medikaments Ganciclovir macht. Nach Ganciclovirgabe sollen die Tumorzellen und die Verpackungszellen im Körper abgetötet werden.

    Status: 4 angemeldete Studien; abgeschlossen.

Aktualisiert: 22.10.2002