Paul-Ehrlich-Institut

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In­for­ma­tio­nen zu den un­er­war­te­ten, schwer­wie­gen­den Ne­ben­wir­kun­gen bei ei­ner kli­ni­schen Stu­die mit der Prüf­sub­stanz TGN1412 in Groß­bri­tan­ni­en am 13.03.2006

Information von 2006 aus dem Archiv Sicherheitsinformationen

Lektion gelernt? Klinische Studien nach TeGenero

Dieser Beitrag des Paul-Ehrlich-Instituts ist im Juni 2007 in der Zeitschrift transkript erschienen. Er zeigt auf, welche Lehren aus den Ereignissen in London gezogen wurden.

Fragen und Antworten zur klinischen Studie in Großbritannien

Was ist passiert?

Am Morgen des 13. März 2006 wurde in London (Großbritannien) im Rahmen einer klinischen Studie der Phase I sechs freiwilligen gesunden männlichen Personen die Prüfsubstanz TGN1412 verabreicht. Bei allen sechs Personen traten innerhalb kurzer Zeit unerwartete schwere Nebenwirkungen auf, die eine intensivmedizinische Betreuung notwendig machten.

Wann dürfen klinische Studien durchgeführt werden?

Jede klinische Studie kann erst dann begonnen werden, wenn sie von einer Ethikkommission positiv bewertet und wenn eine Genehmigung durch eine Arzneimittelbehörde erteilt wurde. Welche Ethikkommission und welche Arzneimittelbehörde für die Bewertung einer klinischen Studie zuständig sind, hängt von dem Ort ab, an dem die klinische Studie durchgeführt werden soll.

Von wem wurde die klinische Studie in London genehmigt?

Da die klinische Prüfung in einem Londoner Krankenhaus durchgeführt wurde, muss ein Votum der für London zuständigen Ethikkommission und eine Genehmigung der britischen Arzneimittelzulassungsbehörde (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency, MHRA) vorliegen.

Welche Maßnahmen hat die englische Behörde nach dem Auftreten der schweren Nebenwirkungen getroffen?

Nach Auftreten der Nebenwirkungen wurde die Genehmigung dieser Studie von der englischen Behörde sofort zurückgenommen. Die englische Behörde hat außerdem Untersuchungen aufgenommen, um die Ursachen für die schweren Nebenwirkungen aufzuklären.

Gab es in Deutschland eine Genehmigung für eine klinische Studie mit dieser Prüfsubstanz?

Ja. Das Paul-Ehrlich-Institut hat am 17.02.2006 eine klinische Studie genehmigt, die von der Firma Parexel International GmbH Berlin im Auftrag der TeGenero AG (Auftraggeber = Sponsor) beantragt wurde. Zuvor wurden die Unterlagen zur Studie sehr gründlich und kritisch geprüft. Nach der Beantwortung einiger Nachfragen durch den Antragsteller wurde davon ausgegangen, dass die Erprobung an gesunden Probanden vertretbar ist. Das für die Genehmigung außerdem notwendige positive Votum einer Ethikkommission lag bereits vor.

Sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien wurden im Genehmigungsverfahren Fragen aufgeworfen, die vom Antragsteller zur Zufriedenheit beider Behörden beantwortet wurden. In den von den beiden Behörden genehmigten Studienprotokollen gab es keine Unterschiede, die die Vorkommnisse in dem britischen Krankenhaus verhindert hätten

Welche Maßnahmen werden jetzt getroffen?

In Deutschland hat das Paul-Ehrlich-Instiut am 16.03.2006 diese Genehmigung der klinischen Studie bis zur Aufklärung der Vorkommnisse ausgesetzt. Weiterhin wurde geprüft, ob es andere klinische Studien gibt, die ein ähnliches Gefährdungspotenzial bergen könnten. Dies ist nicht der Fall, so dass keine weiteren klinischen Studien gestoppt werden mussten.

In enger Zusammenarbeit mit der britischen Arzneimitelbehörde MHRA (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency) betreibt das Paul-Ehrlich-Institut eine Aufklärung der Ursachen dieser schweren Nebenwirkungen. Ziel ist es, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um solche oder ähnliche Vorkommnisse in der Zukunft zu vermeiden.

Gibt es bereits Konsequenzen aus dem Auftreten der schweren Nebenwirkungen?

Zukünftig sollte bei derartigen neuartigen Prüfsubstanzen, die tief in Mechanismen des Immunsystems des Menschen eingreifen, das Prüfprotokoll so gestaltet werden, dass zunächst nur eine Einzelperson behandelt wird und dass die Untersuchung von weiteren Personen erst dann fortgesetzt werden kann, wenn keine schwerwiegenden Nebenwirkungen aufgetreten sind. Dies ist zukünftig bei jeder einzelnen eingereichten klinischen Studie gesondert zu bewerten.

Gibt es bereits Konsequenzen aus dem Auftreten der schweren Nebenwirkungen?

Vor der Genehmigung der klinischen Prüfung am Menschen finden umfangreiche Untersuchungen zu den Wirkungen der Substanz im Reagenzglas und in Tiermodellen statt. Man hat in diesem Fall Versuche auch in Primaten durchgeführt. Dies war notwendig, weil das Immunsystem ein sehr komplexes System ist, das hinsichtlich der Wirkung der Prüfsubstanz TGN1412 nur in Primaten dem des Menschen ausreichend ähnlich ist. Niedrige Mengen der Prüfsubstanz lösten in den untersuchten Primaten keinerlei Nebenwirkungen aus, höhere nur leichte, vorübergehende Nebenwirkungen. Am Menschen wurde eine sehr niedrige Dosis eingesetzt, nämlich 160stel der Dosis, die beim Affen verwendet wurde und dort keine Nebenwirkung auslöste.

Bei Arzneimitteln, die für Menschen gedacht sind, ist es prinzipiell unumgänglich, dass nach den Vorprüfungen im Reagenzglas und im Tierversuch Studien am Menschen durchgeführt werden müssen.

Was ist das für eine Prüfsubstanz?

TGN1412 ist ein Antikörper, der über komplexe Kaskaden zur Stimulierung von Immunzellen, so genannten T-Zellen führt. T-Zellen spielen u.a. bei Krebserkrankungen wie z.B. Leukämie oder Autoimmunerkrankungen wie z.B. Multipler Sklerose eine wichtige Rolle. Um die Wirkung des Antikörpers auf das Immunsystem und die Nebenwirkungen bestmöglich charakterisieren zu können, hatte der Sponsor (= Auftraggeber der klinischen Studie) geplant, diese erste klinische Anwendung am Menschen bei gesunden Probanden mit intaktem Immunsystem durchzuführen.

Wie soll die Prüfsubstanz wirken?

Das Medikament TGN 1412 soll über eine Aktivierung einer bestimmten Zielstruktur auf der Oberfläche spezieller Immunzellen, so genannten T-Zellen, wirken. Diese Struktur heißt CD28 und bewirkt ein "Anschalten" dieser Immunzellen. Normalerweise würden die Zellen nur aktiv, wenn sie ein bestimmtes Ziel erkannt haben, zum Beispiel ein Bruchstück eines Virus. Durch die Gabe des Medikaments erreicht man jedoch eine Aktivierung dieser Zellen unter Umgehung dieser natürlichen Art der Aktivierung, quasi als "Kurzschluß". Die chronisch-lymphatische Leukämie vom B-Zell-Typ (B-CLL) zeichnet sich nun unter anderem dadurch aus, dass wieder andere Immunzellen der Patienten (B-Zellen) nur noch sehr schwach auf infektiöse "Eindringlinge" oder auch den Blutkrebs selbst reagieren können. Das Immunsystem wäre nämlich prinzipiell sehr gut in der Lage, die Krebszellen selbst abzutöten. Die Gabe des Medikaments soll nun dazu führen, dass das Immunsystem aktiviert und gestärkt wird und somit die Tumorzellen vernichten kann. Damit ist diese Therapie keine herkömmliche "Chemotherapie", sondern eine Aktivierung des Immunsystems, mit der einerseits Tumorzellen besser erkannt und abgetötet, andererseits auch die Empfänglichkeit für Infektionen gemindert werden könnte.

Neben der B-CLL wurde das Medikament von der Firma für so genannte "Autoimmunerkrankungen" wie Multiple Sklerose oder rheumatoide Arthritis (entzündliches Gelenkrheuma) entwickelt. Daten aus vorgehenden Experimenten im Labor wiesen laut Sponsor darauf hin, dass eine bestimmte Art von Immunzellen, so genannte "regulatorische T-Zellen", durch das Medikament besonders gut aktiviert werden. Dies könnte eine Dämpfung der bei Autoimmerkrankungen zu starken Immunreaktion und dadurch eine Besserung der Symptome bewirken.

Wie ist die Durchführung von klinischen Prüfungen in Deutschland geregelt?

Eine Übersicht über diese Regularien bieten die beiden unten verlinkten Artikel aus 2005. Sie verweisen auf die gesetzlichen Grundlagen, die erklären, welche Tests nötig sind und wann Studien am Menschen begonnen werden können.

Regulatorische Aspekte klinischer Prüfungen unter besonderer Berücksichtigung biologischer Arzneimittel Beratung im Vorfeld klinischer Prüfungen durch die Bundesoberbehörde und Scientific Advice bei der EMEA

Weiterführende Informationen

Aktualisiert: 19.10.2009