Aktive Anwendungsbeobachtung Nirsevimab
Aktive Anwendungsbeobachtung Nirsevimab
Nirsevimab mit dem Handelsnamen Beyfortus ist ein monoklonaler Antikörper, welcher prophylaktisch zur Verhinderung einer Infektion mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) in Säuglingen und Neugeborenen angewendet werden soll. Bei Nirsevimab handelt es sich um den ersten monoklonalen Antiköper, der durch die Ständige Impfkommission (STIKO) erstmals für diese RSV-Saison (2024/2025) zur allgemeinen prophylaktischen Anwendung empfohlen wird.
Diese neuartige Situation in der Arzneimittelanwendung, die zudem eine spezielle Patientenpopulation betrifft, bedarf einer intensiven Überwachung hinsichtlich der Anwendung und Sicherheit. Aus diesem Grund führt das Paul-Ehrlich-Institut eine aktive Anwendungsbeobachtung durch (NIS 802), mit der umfangreiche Daten zur Gabe und zum Nebenwirkungsprofil von Nirsevimab gesammelt werden sollen.
Die aktive Anwendungsbeobachtung beginnt Mitte November 2024 und wird bis Ende September 2026 dauern.
Nach Abschluss der aktiven Anwendungsbeobachtung wird eine kumulative, endgültige Analyse der Daten durchgeführt. Die Ergebnisse werden anschließend in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht.
Kontakt
E-Mail: rsv@pei.de
Studie zum Zusammenhang zwischen Hautreaktionen und der Shingrix-Impfung gegen Herpes zoster und postherpetische Neuralgie
Studie zum Zusammenhang zwischen Hautreaktionen und der Shingrix-Impfung gegen Herpes zoster und postherpetische Neuralgie
Seit März 2018 ist der rekombinante Subunit-Impfstoff Shingrix zur Vorbeugung von Herpes zoster und postherpetischer Neuralgie bei Personen ab 50 Jahren in Europa zugelassen. Nach der Einführung in den deutschen Markt im Mai 2018 wurden dem Paul-Ehrlich-Institut Verdachtsfälle von Herpes zoster sowie ausgeprägten Hautreaktionen im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Shingrix-Impfung gemeldet. Im folgenden Fachartikel werden die Ergebnisse einer Anwendungsbeobachtung vorgestellt, bei der eine Serie solcher Verdachtsfälle virologisch und dermatologisch untersucht wurden.
Weitere Informationen
Fachartikel „Verdachtsfälle von Herpes zoster sowie ausgeprägten Hautreaktionen im Zusammenhang mit der Impfung gegen Herpes zoster und postherpetische Neuralgie: Ergebnisse einer Anwendungsbeobachtung bei mit Shingrix geimpften Personen in Deutschland“
Originalpublikation
Orru' S, Bierbaum S, Enk A, Hengel H, Hoffelner M, Huzly D, Keller-Stanislawski B, Mahler V, Mockenhaupt M, Oberle D (2023): Skin manifestations after immunisation with an adjuvanted recombinant zoster vaccine, Germany, 2020.
Euro Surveill 28: 2300261.
Text
Deutschlandweite Narkolepsie-Studie
Deutschlandweite Narkolepsie-Studie
Epidemiologische Studie zu den Risikofaktoren von Narkolepsie sowie zur Narkolepsieinzidenz in Deutschland im Zeitverlauf
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hat Hinweise aus Schweden und Finnland auf ein erhöhtes Risiko für Narkolepsie nach Pandemrix-Impfung bei Kindern und Jugendlichen unter 20 Jahren sowie die in Deutschland gemeldeten Verdachtsfälle zum Anlass genommen, in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) eine epidemiologische Studie zu den Risikofaktoren von Narkolepsie sowie zur Narkolepsieinzidenz in Deutschland im Zeitverlauf durchzuführen.
Das Studiendesign des ersten Teils der Untersuchung entsprach einer herstellerunabhängigen, durch das Paul-Ehrlich-Institut gesponserten multizentrischen retrospektiven gematchten Fall-Kontroll-Studie.
Im zweiten Teil der Studie sollten aussagefähige Daten zur Inzidenz von Narkolepsie in Deutschland in verschiedenen Altersgruppen für den Zeitraum 2007-2011 erhoben werden.
Die deutschlandweite Narkolepsie-Studie wurde in schlafmedizinischen Zentren durchgeführt und umfasste das gesamte Bundesgebiet.
Aktueller Stand
TEIL 1: Fall-Kontroll-Studie zu Risikofaktoren von Narkolepsie in Deutschland
Hintergrund
Im Zuge der Influenzapandemie 2009/2010 wurden die Ergebnisse einiger Studien publiziert, die auf ein erhöhtes Risiko für Narkolepsie nach Impfung gegen die pandemische Influenza A/H1N1/v mit einem AS03-adjuvantierten Impfstoff hinwiesen. Das Hauptziel des Teils 1 der vom PEI durchgeführten Studie bestand darin, Risikofaktoren für Narkolepsie zu identifizieren, vor allem hinsichtlich der Rolle von Infektionen (saisonale und pandemische Influenza) und Impfungen (insbesondere der Impfung gegen die pandemische Influenza A/H1N1pdm).
Methoden
Zur Identifizierung von Risikofaktoren für Narkolepsie und Risikoquantifizierung wurde eine retrospektive multizentrische gematchte Fall-Kontroll-Studie durchgeführt.
In die Studie einbezogen werden konnten Patienten mit exzessiver Tagesschläfrigkeit, die im Zeitraum vom 1.4.2009 bis 31.12.2012 zur Abklärung (einschließlich multiplen Schlaflatenztest, MSLT) an ein schlafmedizinisches Zentrum überwiesen worden waren.
Ausgefüllte Erhebungsbögen wurden nach den Kriterien der Brighton Collaboration (BC) für Narkolepsie validiert. Bestätigte Fälle von Narkolepsie (Brighton Collaboration Level der diagnostischen Sicherheit 1−4a) wurden gematcht mit populationsbasierten Kontrollen nach Geburtsjahr, Geschlecht und Wohnort.
Ergebnisse
Insgesamt 103 validierte Fälle von Narkolepsie wurden mit 264 populationsbasierten Kontrollen gematcht. Die zweite Kontrollgruppe umfasste 29 Test-negative Patienten.
Studienteilnehmer, die gegen die pandemische Influenza A/H1N1pdm geimpft worden waren, hatten gegenüber nichtgeimpften Studienteilnehmern ein signifikant erhöhtes Risiko, an Narkolepsie zu erkranken [rohes Odds Ratio (cOR) 3,9 (95%-Konfidenzintervall, KI: 1,8−8,5); adjustiertes Odds Ratio (aOR) 4,5 (95%-KI: 2,0−9,9)].
Der Punktschätzer für das Odds Ratio lag etwas höher für Studienteilnehmer im Alter von 18 Jahren oder älter zum Zeitpunkt der Überweisung zum MSLT als für Minderjährige [Erwachsene: cOR 4,9 (95%-KI: 1,3−19,1), aOR 5,7 (95%-KI: 1,3−24,1); Kinder und Jugendliche: cOR 3,5 (95%-KI: 1,3−9,1), aOR 4,0 (95%-KI: 1,4−11,1)].
Schlussfolgerungen
Die Studie weist bei Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen auf ein erhöhtes Risiko für Narkolepsie nach Impfung gegen die pandemische Influenza A/H1N1pdm verglichen mit Nichtexponierten hin. Die Ergebnisse stehen im Einklang mit den Resultaten anderer europäischer Studien.
Weitere Informationen
Die Ergebnisse der Fall-Kontroll-Studie wurden in der Fachzeitschrift "Sleep Medicine" veröffentlicht [1].
TEIL 2: Studie zur Erhebung der Narkolepsie-Inzidenz in Deutschland
Hintergrund
Vor der Influenzapandemie 2009/2010 lagen keine Daten dazu vor, wie viele Menschen in Deutschland jährlich neu an Narkolepsie erkranken. Ziel des Teils 2 der Studie war es, valide Schätzer für die Inzidenz von Narkolepsie in Deutschland zu ermitteln und zu untersuchen, ob und wie sich die Narkolepsie-Inzidenz in Deutschland zwischen 2007 und 2011 verändert hatte. Insbesondere stellte sich die Frage, ob die Inzidenzraten in der postpandemischen Periode im Vergleich zur präpandemischen Periode erhöht waren.
Methoden
Durchgeführt wurde eine retrospektive Untersuchung zur Inzidenz von Narkolepsie im Zeitraum 01.01.2007 bis 31.12.2011 in Deutschland. Eingeschlossen wurden Patienten mit Erstdiagnose Narkolepsie (ICD-10-Code G47.4) im Zeitraum 01.01.2007 bis 31.12.2011. Zur Validierung der Vollständigkeit der Fallerfassung wurde zusätzlich eine "Capture-Recapture"-Untersuchung durchgeführt. Um Inzidenzraten zwischen Untersuchungsperioden zu vergleichen, wurden "incidence density ratios" (IDR) berechnet. Mittels "Interrupted-time-series" (ITS)-Analysen wurden Unterschiede zwischen präpandemischer, pandemischer und postpandemischer Periode analysiert.
Ergebnisse
Insgesamt 342 schlafmedizinische Zentren wurden zur Teilnahme an der Studie eingeladen. Von 233 schlafmedizinischen Zentren (68,1%) wurden verwertbare Informationen zur Häufigkeit von Narkolepsie-Neudiagnosen zur Verfügung gestellt.
Die teilnehmenden Zentren übermittelten Basisdaten von insgesamt 1198 Patienten. Davon waren 106 Patienten (8,8%) Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre und 1092 (91,2%) Erwachsene. Im Rahmen der Capture-Recapture-Untersuchung in Rheinland-Pfalz wurden insgesamt 80 neudiagnostizierte Narkolepsien registriert. Davon waren 36 (45%) männlich und 44 (55%) weiblich.
Bei Kindern und Jugendlichen stieg die altersstandardisierte adjustierte Inzidenzrate zwischen der präpandemischen Periode mit 0,14/100.000 Personenjahren und der postpandemischen Periode mit 0,50/100.000 Personenjahren auf über das 3-Fache an (IDR 3,57; 95%-KI 1,94–7,00). Bei Erwachsenen war keine signifikante Zunahme zu verzeichnen.
Die ITS-Analyse zeigte, dass der Anstieg der Inzidenzrate bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei unter 20-Jährigen im Frühjahr 2009 einsetzte. Ab November 2009 (Beginn der Impfkampagne) war kein weiterer signifikant ansteigender Trend festzustellen.
Schlussfolgerungen
Für die Jahre 2007–2011 konnten valide Schätzer für die Narkolepsie-Inzidenz berechnet werden. Für Kinder und Jugendliche wurde ein signifikanter Anstieg der Narkolepsie-Inzidenzraten zwischen der präpandemischen und der postpandemischen Periode beobachtet. Eine ähnliche Zunahme war weder bei Erwachsenen noch auf Populationsebene zu verzeichnen. Der Anstieg begann im Frühjahr 2009, ab November 2009 (Beginn der Impfkampagne) war kein weiterer signifikant ansteigender Trend festzustellen.
Weitere Informationen
Die Ergebnisse der Inzidenzstudie wurden in der Fachzeitschrift SLEEP veröffentlicht [2].
Kontakt
Bei Anfragen zum Thema wenden Sie sich bitte an die Pressestelle des PEI, über die die Bearbeitung Ihrer Anfrage koordiniert wird.
Pressestelle
Tel.: +49 6103 77 1030
Fax: +49 6103 77 1262
E-Mail: presse@pei.de
Literatur
[1] Oberle D, Pavel J, Mayer G, Geisler P, Keller-Stanislawski B (2017). Retrospective multicenter matched case–control study on the risk factors for narcolepsy with special focus on vaccinations (including pandemic influenza vaccination) and infections in Germany. Sleep Medicine. 34:71-83. doi: 10.1016/j.sleep.2017.02.026.
Text
[2] Oberle D, Drechsel-Bäuerle U, Schmidtmann I, Mayer G, Keller-Stanislawski B (2015). Incidence of Narcolepsy in Germany. Sleep. 38: 1619-1628. doi: 10.5665/sleep.5060.
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Zusammenhang zwischen pandemischer Influenza A/H1N1v-Impfung und Guillain-Barré-Syndrom / Miller-Fisher-Syndrom in Deutschland
Zusammenhang zwischen pandemischer Influenza A/H1N1v-Impfung und Guillain-Barré-Syndrom / Miller-Fisher-Syndrom in Deutschland
Ergebnisse einer epidemiologischen Studie des Paul-Ehrlich-Instituts
Zusammenfassung der Studienergebnisse
Das Paul-Ehrlich-Institut hat im Zeitraum vom 01. November 2009 bis 31. Dezember 2010 eine epidemiologische, nichtinterventionelle Untersuchung zum Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms (GBS)/ Miller-Fisher-Syndroms (FS) nach dem 'Self-Controlled-Case-Series (SCCS)'-Design durchgeführt. In dieser Studie wurde der zeitliche Zusammenhang (Assoziation) zwischen pandemischer Influenza A/H1N1v-Impfung bzw. saisonaler Grippeimpfung (2009/2010) und GBS/FS untersucht.
Das GBS ist eine akute Entzündung des peripheren Nervensystems und der Nervenwurzeln (Polyradikuloneuritis) mit der Folge einer aufsteigenden Lähmung. In den meisten Fällen bildet sich die Symptomatik zurück. Allerdings kommt es bei manchen Patienten zu einem verlängerten Krankheitsverlauf, neurologischen Restsymptomen oder relevanten bleibenden Schädigungen. Auch Todesfälle können vorkommen. Das Miller-Fisher-Syndrom ist eine seltene Variante des GBS und ist charakterisiert durch Ataxie (Störung der Bewegungskoordination), Augenmuskellähmung und Verlust/Abschwächung der Muskeleigenreflexe.
Zusammenfassend weisen die Ergebnisse der Studie auf ein erhöhtes Risiko eines GBS/FS innerhalb eines recht kurzen Zeitraums von 5 bis 42 Tagen nach der Impfung gegen Influenza A/H1N1v hin. GBS/FS ist eine Erkrankung, die insgesamt selten auftritt – die Hintergrundinzidenz, also die Anzahl der GBS/FS-Neuerkrankungen pro Jahr wird aufgrund einer Untersuchung in Deutschland mit 17,5 Fällen pro 1 Million nicht geimpfter Personen kalkuliert. Zwar erlaubt das SCCS-Design der Studie keine zuverlässige Aussage über die Zahl der durch Impfung zusätzlich aufgetretenen GBS/FS-Fälle. Anhand anderer Untersuchungen und unter bestimmten Annahmen kann die Zahl der zusätzlich aufgetretenen GBS/FS Fälle jedoch geschätzt werden: Danach würden im Zeitraum von 5 bis 42 Tagen nach A/H1N1v-Impfung etwa 6 zusätzliche Fälle eines GBS/FS auf 1 Million geimpfter Personen zu kalkulieren sein. Auch vor dem Hintergrund dieser zusätzlichen Fälle würde das Auftreten von GBS/FS-Neuerkrankungen weiterhin ein seltenes Ereignis bleiben. In anderen Ländern wurden ebenfalls epidemiologische Studien zur möglichen Assoziation zwischen verschiedensten pandemischen A/H1N1v-Impfstoffen, darunter auch dem in Deutschland benutzten Impfstoff Pandemrix, und GBS/FS durchgeführt [z.B. 1-6]. Diese Studien ergaben entweder ein geringfügig erhöhtes oder kein erhöhtes Risiko für GBS/FS nach Impfung mit verschiedenen A/H1N1v-Impfstoffen. Auch wenn die Studienergebnisse kein einheitliches Bild ergeben, so weisen sie doch darauf hin, dass das Risiko eines GBS/FS nach den 2009/2010 eingesetzten pandemischen Impfstoffen niedriger war als das nach Impfung gegen die Schweinegrippe 1976 in den USA.
In der Studie des Paul-Ehrlich-Instituts wurde keine Assoziation zwischen GBS/FS und saisonaler trivalenter Grippeschutzimpfung innerhalb von 5 bis 42 Tagen nach Impfung nachgewiesen.
Prestel J, Volkers P, Mentzer D, Lehmann HC, Hartung HP, Keller-Stanislawski B (2014): Risk of Guillain–Barré syndrome following pandemic influenza A (H1N1) 2009 vaccination in Germany.
Pharmacoepidemiology and Drug Safety 23: 1192-1204.
Online-Abstract
Weitere Informationen zu GBS und Influenza-Impfungen
Charakteristische Symptome des GBS sind, nach anfänglichen Taubheitsgefühlen und Schmerzen, aufsteigende, überwiegend symmetrische motorische Ausfälle sowie das Nachlassen der Muskeleigenreflexe. Üblicherweise sind die Muskeln symmetrisch gelähmt. Problematisch sind Lähmungen von Atem- und Schluckmuskulatur. Das Ausmaß der Lähmungserscheinungen ist variabel, d.h. das Spektrum reicht von kaum merkbaren Bewegungseinschränkungen bis hin zu schweren Lähmungen großer Teile des Körpers. In den meisten Fällen bildet sich die Symptomatik in umgekehrter Reihenfolge ihres Auftretens zurück.
Die genaue Ursache des GBS ist unbekannt, das Verständnis der zugrunde liegenden Pathomechanismen ist aber in jüngerer Zeit gewachsen. Die Erkrankung wird wahrscheinlich durch einen immunpathologischen Mechanismus hervorgerufen. Bei bis zu zwei Drittel der GBS-Patienten lässt sich eine vorausgegangene virale oder bakterielle Infektion nachweisen. Üblicherweise handelt es sich um Infektionen des Gastrointestinal- oder Respirationstraktes. Häufig nachgewiesene Erreger sind z.B. Campylobacter jejuni, Epstein-Barr-Virus, Zytomegalievirus und das Varizella-Zoster-Virus. Einzelne Studien weisen auch auf eine mögliche Assoziation mit einer Influenza-Virusinfektion hin (Übersicht bei 7).
In der Folge eines Ausbruchs von Schweineinfluenza 1976 bei Rekruten im Fort Dix und Befürchtungen einer Schweineinfluenza-Epidemie wurden Influenzaimpfstoffe in den USA produziert und verimpft, bei denen es bereits kurz nach Beginn der Impfkampagne zu gehäuften Meldungen eines GBS kam. Es wird allgemein angenommen, dass die damals eingesetzten, heute nicht mehr vermarkteten Impfstoffe (insgesamt vier verschiedene unadjuvantierte Impfstoffe) mit einem erhöhten Risiko für GBS bei Erwachsenen assoziiert waren. Bei Kindern wurde kein erhöhtes Risiko für ein GBS festgestellt. Die Ursache für die damalige erhöhte Inzidenz des GBS ist bis heute unklar [8].
Bisher sind mehrere kontrollierte Studien zum Risiko eines GBS nach Gabe saisonaler (derzeit zugelassener) Grippeimpfstoffe veröffentlicht worden. Mit Ausnahme zweier Studien [9,10], die ein geringfügig erhöhtes Risiko fanden, wurde keine Assoziation zwischen GBS und den saisonalen Impfstoffen festgestellt [11-13]. Sofern überhaupt ein Risiko für GBS nach saisonalen Grippeimpfstoffen besteht, ist es ausgesprochen gering (es wird von einem zusätzlichen Fall pro 1 Million Dosen ausgegangen) und überwiegt nicht den Nutzen der Impfung. GBS ist in der Fachinformation von trivalenten Influenzaimpfstoffen als Nebenwirkung genannt.
Studie des Paul-Ehrlich-Instituts
Da damit zu rechnen war, dass in zeitlichem Zusammenhang mit der Influenza A/H1N1v- Impfung auch rein zufällig GBS/FS auftritt, führte das Paul-Ehrlich-Institut vorsorglich eine epidemiologische Studie zur möglichen Assoziation mit der Influenzaimpfung durch. Die Studie folgte dem 'Self-Controlled-Case-Series (SCCS)'-Design. Sie wurde von der zuständigen Landesethikkommission genehmigt. Die Studie wurde aus Mitteln des Paul-Ehrlich-Institutes finanziert.
Die SCCS-Methode wurde entwickelt, um Zusammenhänge zwischen Impfungen und möglichen Nebenwirkungen zu untersuchen [14-16]. Das Problem der Auswahl von geeigneten Kontrollen stellt sich bei der SCCS-Methode nicht, da nur geimpfte Patienten betrachtet werden, bei denen das unerwünschte Ereignis (hier GBS/FS) tatsächlich auftrat. Das Auftreten des unerwünschten Ereignisses kann in Beziehung zur Impfung stehen (definierter Zeitraum nach der Impfung; Risikoperiode) oder als unabhängig von der Impfung betrachtet werden (größerer zeitlicher Abstand zur Impfung; Kontrollperiode). Die SCCS-Methode hat den Vorteil einer impliziten Kontrolle möglicher, auch unbekannter Störfaktoren ("confounder"), die sich im betrachteten Zeitraum nicht ändern.
Im Rahmen der Studie wurden initial 316 neurologische Kliniken und 346 Kinderkliniken angeschrieben. Insgesamt 227 neurologische Kliniken (71,8 %) und 124 Kinderkliniken (35,8 %) sagten ihre Teilnahme an der Studie zu. In dem oben genannten Zeitraum wurden dem Paul-Ehrlich-Institut von den teilnehmenden Kliniken 676 Berichte eines GBS/FS gemeldet. Bei 30 dieser Fälle trat das GBS/FS nach A/H1N1v-Impfung mit Pandemrix auf. Diese GBS/FS-Fälle erfüllten die "Brighton Collaboration"-Falldefinition. Sie traten innerhalb von 150 Tagen nach der Impfung auf. Der Schätzwert (relative Inzidenz, RI) für das Risiko eines GBS/FS innerhalb des Zeitraums von 5 bis 42 Tagen nach Impfung im Vergleich zum Kontrollzeitraum von 43 bis 150 Tagen betrug 4,65 (d.h. ein etwa fünffach erhöhtes Risiko; 95%-Konfidenzintervall (CI): 2,17–9,98). Dies weist auf einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen A/H1N1v-Impfung und GBS/FS bei A/H1N1v-geimpften Personen hin. Die SCCS Analyse erlaubt keine zuverlässige Aussage über die Zahl der durch Impfung zusätzlich aufgetretenen GBS/FS Fälle. Allerdings kann unter bestimmten Annahmen die Zahl der zusätzlich aufgetretenen GBS/FS Fälle geschätzt werden. Geht man von einer Hintergrundinzidenz (Anzahl der Neuerkrankungen bezogen auf eine Bevölkerungsgruppe pro Jahr) des GBS von 17,5 auf 1 Million Personen (nicht geimpfte Personen) pro Jahr aus [17] und wird angenommen, dass mehr als sechs Wochen nach der Impfung das Risiko eines GBS dem der Hintergrundinzidenz entspricht, so würden im Zeitraum von 5 bis 42 Tagen nach der A/H1N1v-Impfung ca. 6 zusätzliche Fälle eines GBS/FS auf 1 Million geimpfter Personen zu kalkulieren sein. Auch mit den zusätzlichen Fällen bleibt GBS/FS ein seltenes Ereignis.
Es ist bekannt, dass GBS/FS in Zusammenhang mit vorangegangenen Infektionen stehen kann. In der Studie gab es keinen Hinweis darauf, dass Infektionen innerhalb von drei Wochen vor Auftreten erster GBS/FS-Symptome die Ergebnisse beeinflusst haben. Weitere Sensitivitätsanalysen, in denen verschiedene Zeitfenster zwischen Impfung und ersten Symptomen eines GBS/FS berücksichtigt wurden, änderten das Ergebnis ebenfalls nicht entscheidend.
Bezüglich der saisonalen Grippeschutzimpfung (2009/2010) wurde kein signifikant erhöhtes Risiko eines GBS/FS innerhalb des Zeitraums von 5 bis 42 Tagen im Vergleich zum Kontrollzeitraum von 43 Tagen bis 150 Tagen nach Impfung festgestellt (RI 1,89; 95 % CI 0,66 – 5,42). Allerdings ist die Aussagekraft des Ergebnisses wegen der geringen Zahl von 15 GBS/FS-Fällen innerhalb von 150 Tagen nach Impfung eingeschränkt. Die Impfkampagne für saisonale Grippeschutzimpfung hatte bereits im September 2009 begonnen. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Grippeschutzimpfungen schon vor Beginn der Studie erfolgt war. In die Studie wurden nur die Personen eingeschlossen, die nach Beginn der Studie geimpft wurden.
Die Ergebnisse der Studie sind mit einer gewissen Vorsicht zu interpretieren, da sie durch zeitliche Effekte während der Pandemie verzerrt sein könnten. So ist nicht auszuschließen, dass die Infektion mit dem pandemischen Influenzavirus selbst mit GBS/FS assoziiert war. Die A/H1N1v-Impfkampagne in Deutschland fiel weitgehend mit dem Gipfel der Pandemie (November 2009, Dezember 2009 und – mit Einschränkungen – Januar 2010) zusammen, sodass im Rahmen der SCCS-Methode der Impfeffekt nicht eindeutig von möglichen Effekten während der Pandemie zu unterscheiden ist. So könnten Influenza A/H1N1v-Infektionen z.B. ohne klinische Symptome aufgetreten sein. Da asymptomatische Infektionen nicht erfasst wurden, konnte dies nicht in der Analyse berücksichtigt werden.
Das Paul-Ehrlich-Institut hat versucht, mittels adjustierter Analysen, die nachträglich durchgeführt wurden, zeitliche Effekte zu berücksichtigen. Auch nach zeitlicher Adjustierung nach A/H1N1v-Grippesaison (November 2009 bis Januar 2010 gegenüber Februar bis September 2010) wurde eine erhöhte RI für GBS/FS nach A/H1N1v-Impfung festgestellt. Eine zeitliche Adjustierung nach einzelnen Monaten ergab keine erhöhte RI für GBS/FS nach A/H1N1v-Impfung. Die Validität des Ergebnisses der monatlichen Adjustierung wird jedoch als unsicher eingeschätzt.
Zeitliche Effekte wurden auch für die GBS/FS-Berichte von Personen, die nicht gegen Influenza geimpft worden waren, geprüft. Ein valider zeitlicher Effekt während der Pandemie hätte sich auch bei den nicht geimpften Fällen eines GBS/FS widerspiegeln müssen. Ein solcher Effekt konnte jedoch in der Gesamtheit der GBS/FS-Berichte nicht erkannt werden.
Weiterhin kann angenommen werden, dass ein zeitlicher Effekt, falls existent, auch im Ergebnis der nicht adjustierten SCCS-Analyse hinsichtlich der saisonalen Grippeimpfung widergespiegelt worden wäre. Ein solcher Effekt konnte jedoch in der Analyse der GBS/FS-Fälle bei Personen, die einen saisonalen Grippeimpfstoff erhalten hatten, nicht gesehen werden.
Ein weiteres Problem der Studie bestand in der theoretischen Möglichkeit der selektiven Meldung von GBS/FS-Fällen durch die teilnehmenden Kliniken. Um diesen möglichen Störfaktor zu untersuchen, hat das Paul-Ehrlich-Institut eine zusätzliche retrospektive Untersuchung durchgeführt. Die teilnehmenden Kliniken wurden gebeten, die im Studienzeitraum in der Datenbank der jeweiligen Klinik nach ICD 10 kodierten Fälle eines GBS/FS dem Paul-Ehrlich-Institut summarisch und aufgeschlüsselt nach Monat der Hospitalisierung zu berichten. Tatsächlich zeigte sich, dass in der SCCS-Studie nicht alle kodierten Fälle berichtet worden waren, sodass ein selektives Berichten nicht vollständig ausgeschlossen werden kann. Allerdings weisen die Ergebnisse der retrospektiven Befragung der teilnehmenden Kliniken darauf hin, dass es unwahrscheinlich ist, dass selektives Berichten von GBS/FS-Fällen in einem Ausmaß stattgefunden hat, das zu wesentlichen Beeinträchtigungen der Studienergebnisse geführt haben könnte.
Literatur
- Dieleman J et al. Guillain-Barré syndrome and adjuvanted pandemic influenza A (H1N1) 2009 vaccine: multinational case-control study in Europe. BMJ 2011 Jul 12; 343:d3908
- Andrews N, Stowe J et al. Guillain-Barré syndrome and H1N1 (2009) pandemic influenza vaccination using an AS03 adjuvanted vaccine in the United Kingdom: Self-controlled case series. Vaccine 2011; 29(45):7878-7882
- De Wals P, Deceuninck G et al.: Risk of Guillain-Barre´ Syndrome Following H1N1 Influenza Vaccination in Quebec. JAMA. 2012;308(2):175-181
- CDC. Preliminary results: surveillance for Guillain-Barré syndrome after receipt of influenza A (H1N1) 2009 monovalent vaccine - United States, 2009-2010. Morbidity and Mortality Weekly Report 2010 June 4; 59(21):657-661
- Tokars JI, Lewis P et al. The risk of Guillain-Barré syndrome associated with influenza A (H1N1) 2009 monovalent vaccine and 2009-2010 seasonal influenza vaccines: results from self-controlled analyses. Pharmacoepidemiol Drug Saf 2012; 21(5):546-52
- Grimaldi-Bensouda L, Alpérovitch A et al. Guillain-Barré syndrome, influenzalike illnesses, and influenza vaccination during seasons with and without circulating A/H1N1 viruses. Am J Epidemiol 2011; 174(3):326-335
- Hartung HP, Keller-Stanislawski B et al. Guillain-Barré syndrome after exposure to influenza. Nervenarzt. 2012 Jun;83(6):714-730
- Institute of Medicine. Immunization safety review: influenza vaccines and neurological complications. The National Academies Press Washington, D.C. 2003 (http://www.iom.edu/Reports/2003/Immunization-Safety-Review-Influenza-Vaccines-and-Neurological-Complications.aspx)
- Lasky T, Terracciano GJ et al. The Guillain-Barré syndrome and the 1992-1993 and 1993-1994 influenza vaccines. N Engl J Med 1998; 339(25):1797-1802
- Juurlink DN, Stukel TA et al. Guillain-Barré syndrome after influenza vaccination in adults: a population-based study. Arch Intern Med. 2006; 166:2217-2221
- Hughes RA, Charlton J et al. No association between immunization and Guillain-Barré Syndrome in the United Kingdom, 1992 to 2000. Arch Intern Med 2006; 166:1301-1304
- Kaplan JE, Katona P et al. Guillain-Barré syndrome in the United States, 1979-1980 and 1980-1981. Lack of an association with influenza vaccination. JAMA 1982; 248(6):698-700
- Stowe J, Andrews N et al. Investigation of the temporal association of Guillain-Barre syndrome with influenza vaccine and influenza like illness using the United Kingdom General Practice Research Database. Am J Epidemiol 2009; 169(3):382-388
- Whitaker HJ, Farrington CP et al. Tutorial in biostatistics: The self case-controlled case series method. Statistics in Medicine 2006; 25:1768-1797
- Farrington CP. Relative incidence estimation from case series for vaccine safety evaluation. Biometrics 1995; 51:228-235
- Whitaker HJ, Hocine MN et al. The methodology of self-controlled case series studies. Statistical Methods in Medical Research 2009; 18:7-26
- Lehmann HC, Köhne A et al. Incidence of Guillain-Barré syndrome in Germany. J Peripher Nerv Syst 2007; 12(4):285
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Risikofaktoren für Invagination bei Kindern unter einem Jahr: retrospektive Fall-Kontroll-Studie
Risikofaktoren für Invagination bei Kindern unter einem Jahr: retrospektive Fall-Kontroll-Studie
Epidemiologische Studie zu den Risikofaktoren von Darminvagination bei Kindern unter einem Jahr
Hintergrund
Aus Beobachtungsstudien nach der Zulassung von Rotavirus-Impfstoffen der ersten, aber auch der zweiten Generation gibt es Hinweise darauf, dass ein erhöhtes Risiko für Invagination nach Rotavirus-Impfung besteht.
Zielsetzung
Ziel der Studie ist es, die Ursachen für Invagination im ersten Lebensjahr weiter zu erforschen. Insbesondere soll untersucht werden, welche Rolle stattgehabte Infektionen und Impfungen im ersten Lebensjahr spielen, die einer Invagination vorausgehen.
Methodik
Durchgeführt werden soll eine retrospektive multizentrische gematchte Fall-Kontroll-Studie zu den Risikofaktoren von Darminvagination bei Kindern unter einem Jahr. Der Beobachtungszeitraum der Fall-Kontroll-Studie erstreckt sich von 2010 bis 2014.
Download Studiendokumente
Die Studiendokumente der Fall-Kontroll-Studie zu Risikofaktoren einer Invagination stehen für alle teilnehmenden Zentren im pdf-Format zum Download zur Verfügung.
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