Paul-Ehrlich-Institut

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Forschung am Paul-Ehrlich-Institut: Wie Jahreszeiten die Immunantwort gegen den Gerinnungsfaktor VIII beeinflussen könnten

12 / 2025

  • Die Aktivität bestimmter Immunzellen (dendritischer Zellen) variiert je nach Jahreszeit – und könnte so das Risiko für die Bildung von Antikörpern gegen den Gerinnungsfaktor VIII (FVIII) beeinflussen.
  • Der beobachtete Effekt trat unabhängig vom Geschlecht der gesunden Blutspendenden sowie vom verwendeten FVIII-Präparat auf.
  • Die Unterschiede ließen sich auf den Zeitpunkt der Blutspende zurückführen – nicht auf individuelle Unterschiede zwischen den Spendenden.
  • Besonders im Frühling zeigten die Immunzellen eine stärkere Reaktion, verbunden mit niedrigeren Ausgangswerten des Aktivierungsmarkers CD86.
  • Mögliche Gründe sind saisonale Faktoren wie Vitamin-D-Spiegel, Sonnenlicht, Infektionen oder Pollenbelastung.

Videozusammenfassung

Pressemitteilung

Eine Studie des Paul-Ehrlich-Instituts zeigt, dass die Jahreszeit einen Einfluss auf die Reaktion bestimmter Immunzellen hat. So reagierten Immunzellen von gesunden Blutspendenden im Frühling im Vergleich zu anderen Jahreszeiten besonders stark auf eine Kombination aus einem Gerinnungsfaktor VIII und einem bakteriellen Gefahrensignal. Das Wissen um solche Unterschiede könnte bei der Planung und Anpassung der Behandlung von Hämophilie A (Bluterkrankheit) helfen, um das Risiko für Inhibitorbildung zu verringern. Über die Forschung berichtet Research and Practice in Thrombosis and Haemostasis in seiner Online-Ausgabe vom 17.11.2025.

Prof. (apl.) Dr. Zoe Waibler Quelle: Paul-Ehrlich-Institut

Unsere Forschung zeigt, dass die Immunzellen eines Menschen nicht zu jeder Jahreszeit gleich reagieren. Wir sehen erstmals klare saisonale Muster, die beispielsweise für die Behandlung von Blutern mit Faktor-VIII-Gerinnungsfaktoren relevant sein könnten.

Prof. (apl.) Dr. Zoe Waibler (Vizepräsidentin (komm.) des Paul-Ehrlich-Instituts)

Hämophilie A, auch "Bluterkrankheit" genannt, ist eine seltene, vererbte Störung der Blutgerinnung. Betroffene produzieren zu wenig oder fehlerhaften Gerinnungsfaktor VIII, der für die Blutstillung unverzichtbar ist. Ohne Behandlung kann es zu gefährlichen, langanhaltenden Blutungen kommen. Die Standardtherapie besteht in der Gabe von Faktor-VIII-Präparaten, welche aus Blutplasma (plasmaderiviert) gewonnen oder gentechnisch hergestellt werden (rekombinant), um den fehlenden Faktor zu ersetzen.

Eine große Herausforderung dieser Therapie ist jedoch die Bildung von Antikörpern (auch "Inhibitoren"). Sie erkennen den verabreichten Faktor VIII und blockieren seine Wirkung. Rund 25 bis 35 Prozent der Betroffenen mit schwerer Ausprägung der Bluterkrankheit entwickeln solche Inhibitoren – oftmals ausgelöst durch bestimmte Situationen, in denen das Immunsystem besonders alarmiert ist, etwa in zeitlicher Nähe zu Operationen, Infektionen oder Impfungen.

Illustration Erythrozyten in Arterie Quelle: karyna_345/Shutterstock

In der aktuellen Untersuchung analysierten Forschende des Paul-Ehrlich-Instituts unter Leitung von Prof. (apl.) Zoe Waibler, kommissarische Vizepräsidentin des Paul-Ehrlich-Instituts und Dr. Martina Anzaghe, Fachgebiet Forschung Immunologie des Paul-Ehrlich-Instituts, zwischen 2012 und 2023 gewonnene Blutspenden gesunder Personen. Dabei werteten die Forschenden insgesamt über 400 Blutproben aus und untersuchten, wie stark bestimmte Immunzellen auf die Kombination aus Faktor‑VIII‑Präparat und einem bakteriellen Gefahrensignal (Lipopolysaccharid, LPS) reagierten und welche Faktoren diese Reaktion beeinflussen.

Das überraschende Ergebnis: Die Stärke der Immunreaktion hing weder vom Geschlecht der spendenden Person noch vom Faktor-VIII-Präparat ab. Auch individuelle Unterschiede zwischen Spendenden traten nicht auf. Stattdessen war der Zeitpunkt der Blutspende entscheidend – und dieser korrelierte klar mit der Jahreszeit.

Frühling als "Hochsaison" für Zellaktivität

Besonders im Frühling reagierten die dendritischen Zellen (Immunzellen) stärker. Verantwortlich dafür war ein niedrigerer Ausgangswert des Oberflächenmoleküls CD86, das für die Kommunikation zwischen Immunzellen äußerst wichtig ist. Dieser Wert schwankte je nach Jahreszeit und korrelierte mit der Aktivierung der Zellen und der Ausschüttung entzündungsfördernder Botenstoffe (Zytokine) wie TNF-α. Teilweise wirkte sich dies auch auf die Aktivität der T-Helferzellen aus.

Warum spielt die Jahreszeit eine Rolle?

Die Forschenden vermuten, dass Faktoren wie Sonnenlicht, der Vitamin-D-Spiegel, saisonale Infekte und Pollenbelastung die Immunantwort gegen FVIII beeinflussen. So ist bekannt, dass Vitamin D in den Sommermonaten am höchsten und im Winter sowie Frühjahr am niedrigsten ist – und dass es bestimmte Immunreaktionen dämpfen oder fördern kann.

Bedeutung für die Therapie

Die Ergebnisse zeigen, dass die Bildung von Antikörpern gegen Faktor‑VIII‑Präparate ein komplexer Prozess ist, den viele Einflüsse bestimmen. Offenbar spielt auch die Jahreszeit eine Rolle, da Immunzellen je nach Saison unterschiedlich stark aktivierbar sind. Solche Unterschiede könnten bei der Planung und Anpassung der Therapie von Hämophilie-A-Patienten helfen, um das Risiko für eine Antikörperbildung zu verringern. Künftig könnten möglicherweise auch der Vitamin‑D‑Spiegel und bestimmte Immunzellmarker Hinweise geben, wie sich die Behandlung individueller und wirksamer gestalten lässt.

Originalpublikation

Herzig J, Arciniega Martinez JA, Küster SM, Kronhart S, Praefcke GJK, Miller L, Anzaghe M, Waibler Z (2025): Season-dependent low basal CD86 expression promotes immune cell activation upon treatment with plasma-derived FVIII products.
Res Pract Thromb Hae Nov 17 [Epub ahead of print].
Online-Abstract

Aktualisiert: 10.12.2025