Paul-Ehrlich-Institut

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Drei Fra­gen an Prof. Jo­han­nes Lö­wer im Rah­men der Re­cher­che für 'Im­mun ge­gen die Imp­fung' und die Ant­wor­ten, die der Spie­gel - mit aus­führ­li­chen Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen - dar­auf er­hal­ten hat

Hinweis: Dies ist eine Archivinformation, hier geht es zum Überblick mit allen Informationen zur Influenza-Pandemie 2009/2010.

Drei Fragen an Prof. Löwer

a) Wenn Sie heute zurück blicken - war es ein Fehler das Mock-Up Zulassungsverfahren zu etablieren? (Weil es auf der Annahme beruht, dass eine Pandemie mit hoher Sterblichkeit einher geht.)

Es war eine richtige Entscheidung, das Konzept der Mock-Up-Impfstoffzulassung zu etablieren, da es die Voraussetzungen für eine zeitgerechte Versorgung vor dem Auftreten einer zweiten Welle schafft, und zwar unabhängig vom Schweregrad. Letzterer ist für die Impfempfehlung von Bedeutung (z.B. Risikogruppen vs. Gesamtbevölkerung)


b) Würden Sie mit Ihrem heutigen Wissen über H1Nl vielleicht ein anderes (flexibleres?) Zulassungsverfahren für Pandemie-Impfstoffe unterstützen?

Ein flexibleres Konzept ist kaum vorstellbar, da dieses Modell alle Eventualitäten einer Pandemie berücksichtigt, sowohl im Hinblick auf die Anforderungen an umfassende Versorgung der Bevölkerung weltweit als auch an die bestmögliche Wirksamkeit und Verträglichkeit der Impfstoffe.


c) Was sagen Sie zu dem Vorwurf, die Impfstoff-Hersteller wollten die Pandemie zur Erprobung der Adjuvantien nutzen, um mit den dabei gewonnenen Daten später die Zulassung weiterer (z.B. saisonaler) Adjuvans-Impfstoffe in Europa und in den USA zu beantragen?

Der genannte Vorwurf verkehrt die Realitäten, denn Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit adjuvantierter saisonaler Impfstoffe wurden bereits unabhängig von einem pandemischen Geschehen erhoben und sind in die Bewertung der H1N1v-Imfpstoffe eingeflossen. Sie werden auch fortlaufend weiter erhoben, unabhängig von der Anwendung adjuvantierter Pandemie-Impfstoffe.


Erläuterungen zur Thematik

Erläuterungen zur Thematik, die dem Spiegel mitgeteilt wurden, um diese Aussagen/Antworten zu belegen und zu untermauern.


Ausgangssituation

Als ab 2005 auf internationaler Ebene darüber nachgedacht wurde, wie einer Pandemie mit Impfstoffen begegnet werden könnte, wurden drei Bedingungen deutlich, die ein Pandemieimpfstoff erfüllen müsste:

  1. Der Impfstoff muss in einer Bevölkerung wirksam sein, die keine Vorerfahrung mit dem neuen Influenzavirus hat, die also gegenüber dem neuen Virus 'immunologisch naiv' ist.
  2. Der Impfstoff sollte möglichst vor einer zweiten Welle, die wenige Monate nach der ersten zu erwarten ist, in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.
  3. Der Impfstoff sollte in einem Zulassungsverfahren überprüft worden sein.

Es war bekannt, dass in Kindern der saisonale Impfstoff nur wirksam ist, wenn er zweimal verabreicht wird, vergleichbar mit allen anderen Kinderimpfstoffen, die, wie jede Mutter weiß, mehrmals, in der Regel dreimal, verabreicht werden müssen, bis ein ausreichender Schutz aufgebaut ist. Bei den dann durchgeführten klinischen Studien mit Impfstoffen gegen die Vogelgrippe hat sich die Richtigkeit dieser Beobachtung gezeigt, die Impfstoffe mussten zweimal gegeben werden, um eine gute Immunantwort zu erhalten.

Die Produktion eines Influenzaimpfstoffes ist logistisch komplex. Zunächst vergehen Wochen und Monate, bis mit Hilfe verschiedener Verfahren aus einem aktuellen Virusisolat ein geeignetes Impfvirus gewonnen wird, bis die Reagenzien zur Qualitätsbestimmung hergestellt, bis schließlich alle Voraussetzungen für den Produktionsbeginn geschaffen sind. Dann sollte die wöchentlich hergestellte Menge an Impfstoffdosen möglichst hoch sein, um möglichst viele Personen vor einer zweiten Welle impfen zu können, und zwar weltweit. Die Gesamtkapazität wird aber begrenzt durch die Kapazität der Herstellung von Impfantigen (Virusbestandteile), unabhängig von der Herstellungsmethode (Hühnerei oder Zellkultur).

Eine Beschleunigung ist daher nur zu erreichen, wenn die vorhandene Antigenmenge auf mehr Einzeldosen verteilt werden kann. Enthält ein 'normaler' Grippeimpfstoff 15 µg Impfantigen, so würde eine Reduzierung auf 3,75 µg eine Vervierfachung der wöchentlichen Menge bedeuten. Das Problem der zeitgerechten Verfügbarkeit, womit nicht der Beginn der Auslieferung, sondern der 'Ausstoß', die wöchentlich produzierte Menge, gemeint ist, lässt sich daher nur mit 'antigensparenden' Impfstoffen annähernd lösen.

Und schließlich sollte der neue Impfstoff ein Zulassungsverfahren durchlaufen haben, damit Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit überprüft worden sind, bevor er angewendet wird.

Zulassungsverfahren

Unter dem Zeitdruck einer bevorstehenden Influenzawelle, entweder saisonal mit mäßig veränderten Viren ('Drift-Varianten') oder pandemisch mit stark veränderten Viren ('Shift-Varianten'), können klassische Zulassungsverfahren, die sich meist über ein Jahr oder länger hinziehen, nicht durchgeführt werden. Die Zulassung eines aktuell angepassten saisonalen Impfstoffes beruht daher einerseits auf einer bereits bestehenden 'klassischen' Zulassung, andererseits auf aktuellen Daten zur Qualität des neuen Impfstoffes und einer limitierten klinischen Prüfung. Dieser Vorgehensweise entspricht das Konzept der Musterzulassung für antigensparende pandemische Impfstoffe, deren Herstellung, sollen sie rechtzeitig zur Verfügung stehen, unter einem noch höheren Zeitdruck steht: die grundsätzliche Eignung eines antigensparenden Influenzaimpfstoffes wird in einem Zulassungsverfahren mit einer Version, die gegen ein nicht in der Bevölkerung zirkulierendes Influenzavirus gerichtet ist, getestet und eine Musterzulassung ausgesprochen. Ist das neue Virus bekannt, wird eine Stammanpassung aufgrund aktueller Daten zur Qualität und aufgrund einer limitierten klinischen Prüfung vergleichbar mit dem Verfahren bei saisonalen Influenzaimpfstoffen zugelassen. Die Zulassungsverfahren für die aktuellen saisonalen und die pandemischen Impfstoffe unterscheiden sich daher nicht prinzipiell, sie sind die derzeit besten Verfahren, die die Notwendigkeit einer Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit mit den unausweichlichen Zeitvorgaben in Einklang bringen. Auch die US-amerikanische Zulassung nicht adjuvantierter Pandemie-Impfstoffe folgt diesem Prinzip: die Stammpassung beruht auf vorbestehende Zulassungen und sehr limitierten aktuellen klinischen Daten.

Zeitgerechte Versorgung mit Impfstoffen

Die rechtzeitige Bereitstellung von Impfstoff gegen die Neue Influenza auch nur für die von der Ständigen Impfkommission festgelegten Risikogruppen ist nach wie vor ein Problem. Die wöchentlich zur Verfügung stehenden Mengen sind begrenzt, nach derzeitigem Stand wird sich die Auslieferung der in Deutschland bestellten Mengen bis Februar 2010 hinziehen. Viele Staaten weltweit, auch manche Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, haben derzeit keinen Zugang zum Impfstoff, sie könnten ihn, bedingt durch die begrenzten Kapazitäten, frühestens im Sommer nächsten Jahres erhalten.

Diese Knappheit besteht, obwohl in der Europäischen Union mit den Musterzulassungen dem Prinzip antigensparender Impfstoffe gefolgt wurde. Wäre es anders, würde man wie in den Vereinigten Staaten von der vierfachen Antigenmenge pro Impfstoffdosis ausgehen, würde sich die Auslieferung um den Faktor vier hinauszögern. Die letzten von Deutschland bestellten Dosen kämen dann nicht in etwa fünf Monaten an, sondern in 20 Monaten, das heißt etwa im Juni 2011. Oder es könnten nur ein Viertel der Personen bei gleichbleibend zur Verfügung stehender Antigen-menge geimpft werden. Für Deutschland würde dies bedeuten, dass nach derzeiti-gem Stand nur 12,5 Millionen Personen aus den Risikogruppen geimpft werden könnten, während sich gegen die saisonale Grippe überwiegend aus den ähnlich definierten Risikogruppen ungefähr 25 Millionen Personen impfen lassen. Die Möglichkeit, unter diesen Bedingungen auch Länder versorgen zu können, die derzeit keinen Zugang zum Impfstoff haben, wird dramatisch verschlechtert.

Der Weg zu einem antigensparenden Impfstoff geht nur über den Zusatz eines Wirkverstärkers, eines Adjuvans. Zunächst war daran gedacht worden, den Wirkverstärker einzusetzen, der in den meisten Impfstoffen, in den Kinderimpfstoffen wie auch in den Erwachsenenimpfstoffen, enthalten ist: Aluminiumhydroxid. Dieser Zusatz erwies sich jedoch nicht als ausreichend wirksam, weswegen auf moderne Wirkverstärker zurückgegriffen wurde, die ja bereits in einer Variante seit dem Jahr 2000 für Influenzaimpfstoffe zugelassen sind. Eine antigensparende Version musste jedoch im Rahmen der Zulassung eines Musterimpfstoffes noch überprüft werden.

Will man also eine rechtzeitige Versorgung der Risikogruppen und will man einen möglichst breiten Zugang zu den Impfstoffen weltweit, dann führt der Weg nur über antigensparende Impfstoffe und deren Musterzulassung.

Flexibilität der Zulassung

Die Frage, ob es sich bei der Ausbreitung des Neuen Influenzavirus A(H1N1) um eine Pandemie oder eher um ein saisonales Geschehen handelt, ist hinsichtlich der Notwendigkeit, rechtzeitig Impfstoff zur Verfügung zu stellen, müßig. Aufgrund der Erfahrung in der südlichen Hemisphäre muss mit einer erneuten Welle in den nächsten Monaten gerechnet werden. Als das neue Virus isoliert wurde, waren die saisonalen Impfstoffe, die gegen ein anderes A(H1N1) Virus und ein A(H3N2) Virus sowie gegen die nicht zu unterschätzende Influenza B gerichtet sind, nahezu fertig gestellt. Daher musste unter den von der Natur gesetzten Zeitvorgaben ein spezifischer Impfstoff mit den weiter oben ausgeführten Zielsetzungen hergestellt werden.

Die Frage, ob es sich eher um eine pandemisches oder ein ungewöhnliches saisonales Geschehen handelt, ist nicht ohne Bedeutung für die Frage, ob ein oder zwei Impfungen notwendig sind. Schon die ersten klinischen Studien haben Hinweise darauf gegeben, dass eine Dosis ausreicht, was sich vielleicht dadurch erklären lässt, dass die Bevölkerung doch nicht immunologisch so naiv ist, wie aus den Viruscharakteristika und dem Infektionsverlauf geschlossen wurde. Sollten die weiteren klinischen Daten den Befund erhärten, wird auf eine zweite Impfung verzichtet werden können. Zulassungstechnisch und logistisch ist das ein geringeres Problem, als wenn eine zweite Impfung unvorbereitet eingeführt werden müsste.

Zulassung adjuvantierter saisonaler Impfstoffe

Zuerst zugelassen in Italien im Jahr 1997, befindet sich seit dem Jahr 2000 auch in Deutschland ein adjuvantierter saisonaler Impfstoff auf dem Markt. Dem Paul-Ehrlich-Institut ist bekannt, dass Hersteller groß angelegte Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit adjuvantierter saisonaler Impfstoffe durchführen. Es ist zu erwarten, dass die Ergebnisse, falls sie erwartungsgemäß ausfallen, im Rahmen eines Zulassungsantrages vorgelegt werden.

Aktualisiert: 18.10.2009